Journalist fällt beim Faktencheck durch


WDR, tagesschau.de (Döschner; Kommentar, Bericht)

„Dreister geht es kaum“

 

Die Verhandlung vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe hat breiten Niederschlag in den Medien gefunden. Die Berichterstattung ist überwiegend ausgewogen und sachgemäß ausgefallen – die Positionen von Unternehmen und Bundesregierung wurden dargestellt, der komplexe Sachverhalt in der Regel zutreffend erläutert.

 

Leider gibt es Ausnahmen – dabei tut sich erneut der WDR-Journalist und „ARD-Energieexperte“ Jürgen Döschner im negativen Sinn hervor. Zwar sind seine Aussagen auf „tagesschau.de“ als Kommentar gekennzeichnet. Doch enthebt das den Autor der Pflicht, sorgsam mit den Fakten umzugehen? Wir haben einige seiner Aussagen dem „Faktencheck“ unterzogen. Fazit: durchgefallen!

„Statt Schuldbewusstsein, Bescheidenheit und Dankbarkeit zu zeigen, stellen sich die Energiekonzerne nun als Opfer dar.“

Faktencheck: Falsch und unvollständig. Es geht den Unternehmen in dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nicht um das „Ob“ des Kernenergieausstiegs, sondern um das „Wie“. Die Unternehmen wollen, ja sie sind dazu verpflichtet, auch im Sinne ihrer Aktionäre klären zu lassen, ob durch die 13. Novelle des Atomgesetzes in verfassungsmäßig verbriefte Grundrechte in unzulässiger Art und Weise eingegriffen wurde. Auch wenn das „Aus“ für die Atomkraft politisch gewünscht ist, muss es sich an den verfassungsmäßigen Grenzen und Vorgaben messen lassen. In verschiedenen Beiträgen der ARD haben die Unternehmen, darunter Matthias Hartung für RWE, das klar und deutlich benannt. Dies wurde im Sinne einer vollständigen Berichterstattung selbst in kurzen Nachrichtenbeiträgen aufgegriffen. Herrn Döschner ist das keine Zeile wert.

„Schon der Umgang der Stromkonzerne mit dem ersten Atomausstieg von 2002 war an Dreistigkeit kaum zu überbieten. […] Aber der im Gegenzug vereinbarte Atomausstieg sollte möglichst schnell wieder gekippt werden. Vertragstreue hin – Primat der Politik her. Ende 2010, mit den passenden Politikern auf der anderen Seite, glückte schließlich der dreiste Coup.“

Faktencheck: Falsch bzw. einseitig. Grundlage des Atomausstiegs 2002 war eine Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Energieversorgungsunternehmen aus 2001, die bereits ein Jahr zuvor paraphiert worden war. Die Politik wollte damit Klagen gegen den beabsichtigten Ausstieg aus der Kernenergienutzung vermeiden. Aus Sicht der EVU war dies mit schwerwiegenden Eingriffen und Belastungen für sie verbunden. So wurde damals zum Beispiel das Prinzip der unbefristeten Betriebsgenehmigungen der Anlagen abgeschafft. Deshalb war es für die EVU im Gegenzug von besonderer Bedeutung, dass „die verbleibende Nutzungsdauer und der ungestörte Betrieb der Kernkraftwerke wie auch deren Entsorgung gewährleistet werden“. Ein ebenfalls wichtiger Punkt war, dass das neu eingeführte System der Reststrommengen in seinem Bestand dauerhaft geschützt und zeitlich nicht beschränkt wird. Nur vor diesem Hintergrund war es für RWE akzeptabel, die damalige Vereinbarung zu unterzeichnen und keine Schadenersatzansprüche gegen die nachfolgende Novelle des Atomgesetzes geltend zu machen. Wenn eine rot-grüne Bundesregierung einen Atomausstieg beschließt, ist das gut. Wenn eine schwarz-gelbe Koalition das anders entscheidet, ist das für Herrn Döschner ein „dreister Coup“. Seltsam einseitiges Verständnis von Politik.

„Zwölf weitere Jahre lang eine Millionen Euro pro Atomkraftwerk pro Tag – die Sektkorken knallten! Wer braucht bei solchen Profiten Solar- und Windkraft? Das sei was für Leute, die auch Ananas auf Alaska züchten, spottete der damalige RWE-Chef Jürgen Großmann.“

Faktencheck: Falsch. Schon 2008 wurde die RWE Innogy gegründet, die seit dieser Zeit etliche Milliarden Euro in den Ausbau der erneuerbaren Energien investiert hat. 2015 lag der Anteil der erneuerbaren Energien in Bezug auf alle Erzeugungskapazitäten von RWE, die dauerhaft am Netz sind, bei knapp 10 Prozent. Wir wären hier gerne noch schneller unterwegs. Aber wie viele Forschungsinstitute, darunter auch das Umweltbundesamt, und die Bundesregierung haben wir die Geschwindigkeit der Energiewende unterschätzt.

Auch Aussagen Döschners im „Morgenecho“ (WDR 5, 16.03.2016) bedürfen einer Überprüfung: Die deutschen Kernkraftwerke seien 2011 aus übergeordneten Sicherheitsüberlegungen stillgelegt worden. Er verglich die Situation mit einem Auto, das nicht mehr verkehrssicher ist und vom TÜV stillgelegt wird. In der Situation habe der KFZ-Halter auch keinen Anspruch auf Entschädigung, weil er erwartet habe, mit dem Fahrzeug noch länger herumzufahren.

Faktencheck: Unseriös. Das Bild ist nicht nur schief – es ist auch falsch: Sowohl der 2011 gemeinsam mit Bundesumweltministerium, zuständigen Länderbehörden und Gutachtern durchgeführte EU-Stresstest wie auch die im gleichen Jahr erfolgte Sicherheitsüberprüfung der deutschen Reaktorsicherheitskommission haben das hohe Sicherheitsniveau der deutschen Kernkraftwerke bestätigt. Festgestellt wurde, dass die Anlagen – einschließlich der 2011 abgeschalteten Blöcke – im allgemeinen über große Sicherheitsreserven verfügen, die über die in den Regelwerken festgelegten Mindestanforderungen oft weit hinausgehen. Das ist für jeden Journalisten leicht nachprüfbar – wenn er seiner Arbeit sorgfältig und ergebnisoffen nachgeht.